Mathias Bertram
Publizist und Buchgestalter
Hier nur eine ganz persönliche Auswahl aus den etwa 200 Büchern, die ich seit 2003 gestaltet habe. Die meisten von ihnen entstanden für den Verlag meines Freundes Mark Lehmstedt, ohne den ich gewiss nicht mit der Buchgestaltung begonnen hätte. Denn wie allzu wenige andere teilt er meine Auffassung, dass sich gute Gestaltung nicht durch buchkünstlerische Innovation und Originalität auszeichnet, sondern danach streben muss, ein möglichst passgenaues Gewand für Texte und Bilder zu finden. Deshalb kann man schöne Bücher auch
nicht ohne schöne Inhalte machen; wo es an Substanz mangelt, hilft kein äußerlicher Zierrat. Kein schöner Umschlag und kein schöner Satz auch kann entstehen ohne schöne Schriften. Als eine der besten und vielseitigsten gilt mir die einst »Lucinde« genannte »Rabenau Pro« von Axel Bertram, die ich seit 2003 so oft wie möglich verwende und die so fast zur Hausschrift des Lehmstedt Verlags geworden ist. Nicht noch einmal aufgeführt sind hier Fotobücher, die an anderer Stelle zu zeigen sind.
Die Sammlung mit Erinnerungen von 58 Zeitgenossen an Begegnungen mit Bertolt Brecht, die Erdmut Wizisla, der langjährige Leiter des Brecht-Archivs der Akademie der Künste, für den Lehmstedt Verlag zusammengestellt und kommentiert hat, gehört im Zusammenspiel unterschiedlicher Blickwinkel und denkbar kontroverser Wertungen zu den spannendsten Büchern über den Jahrhundertdichter, die ich kenne - lebendiger und aussagekräftiger als jede Biografie. Eine Reproabzug der Fotografie von Paul Hamann, die Brecht mit der von ihm geschaffenen Büste zeigt, befindet sich seit vielen Jahren in meinem Besitz und wartete nur darauf, endlich einmal verwendet zu werden. Der Umschlag für diesen Band wurde als Entwurf für eine ganze Reihe von »Begegnungen mit ...« konzipiert, die 2015 mit den ebenfalls von Erdmut Wizisla herausgegebenen »Begegnungen mit Benjamin fortgesetzt wurde.
Begegnungen mit Brecht. Herausgegeben und eingeleitet von Erdmut Wizisla. Leipzig: Lehmstedt, 2009.
Hans Mayer: Briefe. 1948-1963. Herausgegeben von Mark Lehmstedt.
Leipzig: Lehmstedt, 2006. (Info)
Die Schriften von Hans Mayer sind bis heute ein nur selten erreichtes Muster einer Literaturwissenschaft, die in gleichem Maße unterhaltend wie belehrend ist. Sie gehören also einer fernen Epoche an, in der die Germanistik sich nicht nur im Falle von Dichterbiografien an Leser wandte und bestrebt war, die Zusammenhänge von Literatur, Geschichte und Alltagsleben aufzuhellen. Gerade deshalb sind sie auch heute noch gut zu lesen. Die von Mark Lehmstedt zusammengestellte Sammlung von Briefen beleuchtet die Jahre, die Hans Mayer in Leipzig wirkte. Sie zeigen ihn in vielerlei Hinsicht als Mittler – als Vermittler zwischen Büchern und Lesern, als Mittler zwischen Literatur und Wissenschaft, aber auch als jemanden, der versuchte mitten im kalten Krieg Brücken zwischen Ost und West zu bauen. Mayer scheitert an den Verhältnissen in der DDR, blieb 1963 im Westen und musste sich ein weiteres Mal ein neues Leben aufbauen. Der Umschlag versucht das Leben inmitten der Gegensätze mit typografischen Mitteln anzudeuten. Der strenge Klassizismus der Initialen ist eine Referenz an den Egomanen, der Hans Mayer bei alledem natürlich auch war.
Max Schwimmer, der Meister der leichten Federzeichnung, zählt zu den bedeutendsten Grafikern und Buchillustratoren Deutschlands im 20. Jahrhundert. Daß er zugleich ein hervorragender Briefschreiber war, der sich mit großer Sprachmacht und intellektueller Schärfe äußerte, war bei Erscheinen eine neue, überraschende Erkenntnis. Die Ausgabe enthält mehr als 600 Briefe und Tagebucheinträge, die Einblick in Schwimmers Leben zwischen 1917 und 1960 gewähren. Sie zeigen ihn nicht nur als permanent um sein Werk ringenden Künstler, sondern ebenso als politischen Kopf, als zuverlässigen Freund in dunkler Zeit, als künstlerischen Mentor und nicht zuletzt als Ehemann, Liebhaber und Erotomanen.
Der Umschlag beschränkt sich darauf letzteres anzudeuten, in dem er gleich mehrere Sünden begeht: die gewählte Zeichnung ist mit ihren kräftigen, expressiven Linien eher untypisch für Schwimmer, das Sexualsymbol (der Fisch) kaum zu entschlüsseln und obendrein wurde das gewählte Blatt des Kontrastes und der Farbe wegen für den Umschlag auch noch gekontert.
Manfred Naumann hat vieles geleistet und geschrieben. Für mich ist er aber vor allem der Mann, der Hans Robert Jauß' Entwurf einer Rezeptionsästhetik adaptierte und in die Literaturwissenschaft der DDR einbrachte. Ungeachtet der verheerenden Wirkung, die Jaußens Erfindung bis heute zeitigt, lieferte sie in der DDR zur rechten Zeit die Instrumente, den Dogmatikern ins Wort zu fallen und wenigstens beim Lesen etwas mehr Demokratie zu wagen.
Naumanns Autobiografie handelt vom Ausloten politischer, kultureller und wissenschaftlicher Zwischenräume und der Suche nach Nischen, in denen es sich leben und arbeiten lässt.
Das Bild dafür lieferte Paul Klee mit seinem »Polyphon umgrenzten Weiß«, das durch seine tragende Rolle in Alfred Anderschs Roman »Winterspelt« für mich schon immer große Bedeutung hatte. Dass ich es seinem eigentlichen Zweck entfremden, ja im Grunde missbrauchen konnte, verdankt sich dem Ablauf des Urheberrechts 70 Jahre nach dem Tod seines Schöpfers. Wer sich daran stößt, sollte darüber nachdenken, ob solche Schutzfristen überhaupt ablaufen oder nicht besser ebenso lange währen sollten wie alle Eigentumsrechte.
Die von Steffi Böttger herausgegebene Briefe machen mit einer deutschen Familiengeschichte besonderer Art vertraut: Der Vater: Hans Natonek (1892-1963), in den zwanziger Jahren vielgerühmter Journalist und Romanautor, muss aufgrund seiner jüdischen Herkunft ins Exil gehen und gelangt über Prag, Paris und New York schließlich nach Tucson, Arizona, wo er - vom Literaturbetrieb vollkommen vergessen - an Leukämie stirbt. Der Sohn: Wolfgang Natonek (1919-1994), verliert 1933 seinen Vater, als die vom NS-Regime begeisterte Mutter sich scheiden lässt. Als bekennender Liberaler wird er 1947/48 vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet und zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, 1956 nach achtjähriger Haft in die Bundesrepublik entlassen, wo er nach Abschluss seines Studiums Gymnasiallehrer wird.
Daß ein so spannendes Buch keinen großen Leserkreis finden wird, war dem Verleger von vornherein klar. Deshalb konnte sich der Buchgestalter einmal ohne Rücksicht auf irgendwelche Werbestrategien austoben und das Mehr geben, das Weniger ist.
Hans Natonek und Wolfgang Natonek Briefwechsel 1946-1962. Herausgegeben und kommentiert von Steffi Böttger.
Leipzig: Lehmstedt, 2008.
Gunter Bergmann: Sächsisches Volkswörterbuch. Leipzig: Lehmstedt, 2011. (Info)
Der Titel des Wörterbuchs ist treffend, aber trotzdem eine grobe Untertreibung, denn das »Sächsische Volkswörterbuch« beruht zwar auf der wissenschaftlichen Erfassung der gesprochenen Sprache in den verschiedenen Regionen Sachsens, beschränkt sich aber nicht auf Wörter, die nur die sächsische Mundart kennt, sondern enthält auch viel Vokabular, das genauso gut in Brandenburg und Berlin verwendet wird. Insofern haben wir es hier im Prinzip mit einem wahren Lexikon der (ost)deutschen Umgangssprache zu tun, das dank seiner ausführlichen Erläuterungen eine kulturgeschichtliche Fundgrube ist.
Der Einband zitiert die sächsischen Nationalfarben und kommt dabei ohne Drucktechnik aus. Rückenzeile, Schrift und Signet sind den beiden verwendeten Naturpapieren aufgeprägt. Das Signet ist eine Initiale aus einem Druck von Aldus Manutius, die für den hiesigen Zweck vereinfacht und etwas umgezeichnet wurde.
»Goethe und der Alte Fritz: Darüber ist schon manches geschrieben worden, doch noch nie so leicht, so gründlich und gescheit wie in diesem Büchlein«, schreibt Klaus Bellin zurecht in seiner Rezension des handlichen Oktavbandes. Katharina Mommsen, die verehrte Nestorin der Goethe-Forschung, hatte überdies Humor genug, die Montage aus historischen Scherenschnitten als Vignette gut zu heißen, die schon auf dem Titel Bilanz zieht: Beim »Geist von Potsdam« stößt der »Geist von Weimar« auf taube Ohren.
Katharina Mommsen: Goethe und der Alte Fritz. Leipzig: Lehmstedt, 2011. (Info)
Der venezianische Drucker und Verleger Aldus Manutius (um 1450-1515) führte die damals noch junge Buchdruckkunst zu einem frühen Höhepunkt. Im Zeichen von Anker und Delphin, einem der berühmtesten Firmensignets in der Geschichte des Buchwesens, erschienen makellose Drucke von zeitloser Schönheit und Eleganz. Die Staatsbibliothek zu Berlin bewahrt in ihren Kammern eine der bedeutendsten Sammlungen dieser Drucke und scheute keine Mühen und keine Kosten, um ihren Bestand an Aldinen in einem großen, farbig gedruckten Katalog mit zahlreichen Illustrationen zu erschließen. Leider bleibt die wissenschaftliche Erschließung von Wiegendrucken mit ihren zahllosen, teils nur dem Fachmann verständlichen Angaben von Bogensignaturen, Fingerprints und anderen Raffinessen der Identifizierung trotzdem eine reichlich trockene Materie, die überdies hohe Anforderung an eine sorgfältige Mikrotypographie stellt.
Im Zeichen von Anker und Delphin. Die Aldinen-Sammlung der Staatsbibliothek zu Berlin. Herausgegeben von der Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz. Leipzig: Faber & Faber, 2005.
Das von Mark Lehmstedt und Lothar Poethe begründete »Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte« wurde ursprünglich von der Deutschen Nationalbibliothek herausgegeben. Inzwischen hat diese Aufgabe die Universitätsbibliothek Leipzig übernommen. Auf Initiative von Lothar Poethe wurde 2004 einer typographische Neugestaltung des Jahrbuchs möglich, deren besondere Herausforderung darin lag, dass für den Satz kein professionelles Satzprogramm, sondern lediglich ein normales Textprogramm verwendet werden konnte. Mit Hilfe von Jan Tschicholds Sabon gelang trotzdem ein respektabler Neuansatz, der sich auch nach der fünften Ausgabe noch sehen lassen kann. Für den Einband entstand ein Signet, das mit einfachsten Formen die Welt des Buches als eigenen Kosmos zu fassen sucht. Rahmen und Schriftgestaltung zitieren die wunderbaren Typografien, die früher im Wissenschaftsbetrieb keine Seltenheit waren und sich bei mir vor allem mit den Publikationen des Verlages Vittorio Klostermann verbinden.
Leipziger Jahrbuch für Buchgeschichte. [Heute:] Herausgegeben im Auftrag der Universitätsbibliothek Leipzig von Detlef Döring, Thomas Fuchs und Christine Haug. Wiesbaden: Harrassowitz. Der 20. Band erschien 2012.
Ilona Stölken:
Das deutsche New York
Eine Spurensuche
Leipzig: Lehmstedt, 2013.
Welcher New York-Besucher weiß heute, dass New York im späten 19. Jahrhundert die größte deutsche Stadt nach Berlin und Wien war? Ilona Stölken rekonstruiert in diesem Buch die eindrucksvolle Geschichte der Deutschen in New York vom Beginn der Masseneinwanderung 1840 bis hin zu den Flüchtlingen des NS-Regimes. Sie folgt den Einflüssen, die deutsche Arbeiter und Unternehmer, Künstler und Journalisten auf die Stadt genommen haben - Lagerbier und Steinway-Pianos, Brooklyn Bridge und Bloomingdale's -, und beschreibt ihre Festkultur, ihre Musik und ihr Vereinsleben. Der Reiz des Buches liegt nicht zuletzt in den 240 Zeichnungen, Gemälden, Karten, Holzschnitten, Stahlstichen und Fotografien, die das alte New York wieder auferstehen lassen. Sie für den Druck aufzuarbeiten, zum Teil zu restaurieren und schließlich zu organisieren war eine Sisyphosarbeit, die sich nicht so leicht vergisst.